Antje Wagner: Schattengesicht

 

Paperback  |  174 Seiten | ISBN 978-3-89741-413-6

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Inhalt

Mila und Polly – zwei junge Frauen, die auf der Flucht sind. Etwas Rätselhaftes, nicht Greifbares umgibt sie, mehr noch: Bedrohung. Warum ist der Tod ihr ständiger Begleiter? 

Milas Freundschaft zu Polly reicht bis in die Kindheit zurück: Das unglückliche Mädchen, das sich in ein eigenes »Halbreich« flüchtet, findet unter einer Trauerweide am Rande eines Waldsees eine Freundin. Selbst als Mila längst erwachsen ist und eine Lehrerinnenausbildung absolviert, bleibt Polly ihre stete Begleiterin – und unterstützt sie, auch wenn es um den Kampf gegen Ungerechtigkeiten oder um Rache geht …

Leseprobe

Dieser Weiher. Er übte einen Sog aus. Er lag am Ende des Dorfs, hinter einem Schilfwald. Still wie der Tod lag er und übte diesen Sog aus. Auf jeden, glaube ich. Aber im Sommer war er für Kinder verboten. Für alle, außer für mich.

Die Wiesen dort waren feucht und fett. Ein modriger Geruch hing in der Luft. Flecken gelbgrüner Entengrütze schwammen auf der dunklen Oberfläche, und Libellen standen in reglosen Wolken darüber. Spinnen liefen langbeinig über das Wasser, als wäre es fest. Ich ging immer hin, um Kaulquappen zu fangen.

[…]

Als ich die Zweige der Trauerweide zur Seite schob, blieb ich erschrocken stehen. Ein Mädchen stand mitten in Halbreich und schob Unrat mit den Füßen raus. Sie hatte ein weißes Kleid an, keine Jacke, und über ihre Stirn zog sich ein Streifen Dreck.

Ein weißes Kleid, dachte ich. Wer trug denn freiwillig ein weißes Kleid? Sie sah aus, als wäre sie von einer Kommunion abgehauen.

»Hi«, sagte sie, als sie mich sah. »Hier sieht's ja aus!« Ich fühlte mich ertappt und sah mich um. Es roch intensiv nach etwas Verrottetem. Im Laufe meiner langen Abwesenheit war Laub hineingeweht, das schwarz geworden war, nun vor sich hinglitschte und anfing zu faulen. Sie summte ein bisschen. Ein lila Haargummi hing schief in ihrem verfilzten Haar. Sie stellte sich nicht vor, und sie fragte auch nicht, wer ich war. Sie wischte einfach weiter mit ihren Füßen herum, schubste Zweige und Vogelkot fort, kickte braune Moosstücke hinaus, schleuderte eine schlammige Plastiktüte weg. Nur meine Geheimschrift aus Kieseln ließ sie sorgfältig liegen.

»Ja … äh … hi!«, sagte ich. Dann betrat ich Halbreich und half ihr ein bisschen. »Der Weiher ist eigentlich verboten«, sagte ich. »Du bist zu Besuch hier, oder?«

Sie versuchte die am Ellenbogen endenden Ärmel ihres Kleids langzuziehen. Sie war ein bisschen zu dünn, oder das Kleid war zu groß.

»Er heißt Totensee«, sagte ich.

»Ich weiß.« Sie lachte.


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Antje Wagner

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